Chico ist tot. Aber mit dem — ungeachtet dessen, ob man die Einschläferung des Hundes, der seine Besitzer totgebissen hat, für richtig hält oder nicht — tragischen Ende dieses Tierlebens ist die Aufregung um den Fall noch längst nicht vorbei: Am kommenden Sonntag soll es in Hannover eine Mahnwache für Chico geben.

Die Frage, wie man mit einem schlecht bis gar nicht erzogenen, völlig falsch gehaltenen und dementsprechend aggressiven Hund umgehen soll, erhitzte die Gemüter nachhaltig. Von vermeintlichem Pragmatismus zum Schutz der Menschen (also einschläfern) bis hin zu Petitionen, das Tier nicht für all die Fehler seiner Besitzer büßen zu lassen (was auch unser Autor Dennis Ebbecke befürwortete, nachzulesen hier) reichte das Spektrum der Emotionen.

Nun ist Chico also tot, er wurde „euthanisiert”, wie es im Fachjargon ebenso treffend wie schwer erträglich heißt. Gründe für diese Entscheidung gab es genug: Er litt unter einer schwerwiegenden Kieferverletzung. Er musste aufgrund seiner fehlenden Sozialisation isoliert von Artgenossen gehalten werden. Ein Umgang mit Menschen wäre angesichts seiner latenten Aggressivität eine nicht zu verantwortende Gefahr gewesen.

Hätte man Chico wirklich zähmen können?

Ehrensache, dass Tierrechtler das nicht ohne Weiteres so stehen lassen können: Der Focus befragte die Geschaftsführerin der Organisation Animals United zu der Sache, nach deren Einschätzung man jeden Hund durch Training resozialisieren könne und sein Verhalten davon abhänge, wie der Halter mit ihm umgeht.

Sicherlich kann man auch aggressiven Problemhunden beibringen, sich „vernünftig” zu verhalten — ob es wirklich bei jedem geht, wage ich trotzdem zu bezweifeln. Aber selbst wenn: So gesittet sich ein Hund im Alltag benehmen mag — es reicht eine vermeintliche Kleinigkeit, um eventuell vorhandene Traumata zu „triggern”. Und diese Kleinigkeit hat nichts mit Erziehung zu tun, sondern einfach damit, mit welchen Stresssituationen ein Hund Erfahrungen machen musste. Und wer kann schon sagen, welcher Tropfen genau es war, der das Fass in Chicos gequälter Seele zum Überlaufen gebracht hat? Richtig: Niemand. Keine Kriminalpolizei, kein Tierheim und erst recht keine Tierrechts-Aktivisten.

Es gibt nur Opfer

Letztlich sind alle Betroffenen dieses schrecklichen Vorfalls Opfer. Die beiden Getöteten mussten unter der Gewalttätigkeit ihres Mannes/Vaters leiden, was wohl der nachvollziehbare Grund war, sich überhaupt einen potenziell gefährlichen Hund anzuschaffen. Das Tier litt darunter, dass die beiden späteren Opfer mit dessen Haltung und Erziehung heillos überfordert waren. Dass sich ihr vermeintlicher Beschützer letztlich als größte Gefahr entpuppte, ist nicht nur eine bittere Ironie des Schicksals, sondern eine selbstverschuldete Katastrophe, deren Grundlage natürlich trotzdem erst damit geschaffen wurde, dass ein Psychopath den beiden das Leben zur Hölle machte.

Wie gesagt: Im Fall Chico gibt es nur Opfer, unter denen das Tier ohne Frage das hilfloseste war. Es war seinen Besitzern ausgeliefert und auf deren Erziehung angewiesen. Aber dass es dadurch eine potenzielle Gefahr für seine Umwelt darstellte (was man scheinbar auch Nachlässigkeiten bei den zuständigen Kontrollinstanzen anlasten kann), hätte sich durch keinen noch so liebevollen Erziehungsansatz mehr ändern lassen.

Mahnwache für Chico? Den Blick für die Realität behalten

Dass die besagte Mahnwache für Chico, bei der die Polizei mit etwa 100 Teilnehmern rechnet, angesetzt wurde, mutet so oder so heillos übertrieben an. Erst recht, wenn man bedenkt, wie viele erschreckende Dinge in der Welt passieren oder wie viele protestwürdige Entscheidungen sich in Politik und Wirtschaft abspielen, die die große Mehrheit achselzuckend, weil machtlos hinnimmt.

Aber vielleicht ist genau das der Grund, warum ausgerechnet ein begrenztes Drama aus der Nachbarschaft zu so starken emotionalen Ausbrüchen verführt — umso mehr, wenn die Hintergründe alles andere als klar und damit ebenso diskutabel sind wie die daraus zu ziehenden Konsequenzen. Aber spätestens mit der Mahnwache für Chico ist ein Punkt erreicht, an dem auch die Chico-Freunde tief durchatmen und sich bewusst machen sollten, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen Idealvorstellungen und dem, was praktikabel ist, gibt. Nicht nur bei Chico, sondern in jedem Bereich des Lebens.

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